Erste Erfahrungen
Dies sind die ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit meinem Kurzdarmsyndrom, die meine Frau erlebt und selber geschrieben hat:
Erfahrungsbericht meiner Frau
Als mein Mann noch im Krankenhaus lag und sein Zustand nach vier Darm OPs mehr als bescheiden war, machte ich mich daran, Informationen zu dem spärlich skizzierten Krankheitsbild zu suchen. Ich hab‘ noch die sehr kompetente Intensivschwester im Ohr, die nach der vierten OP mit einem Restdarm vom 85 cm sagte: „da wird etwas zurück bleiben“. Das ließ mich aufhorchen, ohne zu wissen was es bedeutet.
Was bedeutet die Diagnose „Kurzdarmsyndrom“?
Ich begann in der Krankenakte die OP Berichte zu lesen und kam an die Stelle mit den 85 cm. Was bedeutet das? Was es aus meinem Mann machte, sah ich täglich: nachdem die Phase in der Intensivstation vorbei war und die Dosis Drogen (Schmerzmittel etc.) geringer wurde, sollte der Restdarm „angefüttert“ werden. Später lernte ich: ein Darm, der nichts zu tun hat, stirbt ab.
Anfüttern hieß: meist essen von daheim, denn ein Krankenhaus ist auf Patienten wie meinen Mann nicht ausgerichtet. Also brachte ich ihm u.a. laktosefreien Joghurt und Vanillepudding (intolerant war er vorher schon – jedoch sind viele andere Kurzdarmpatienten laktoseintolerant), Bananen, Weißbrotsandwiches mit Schinken, Gurke und Käse. Und dann ging es los mit den Durchfällen. Nichts blieb lange in ihm, weder gedünstetes Gemüse oder Fleisch, noch die mitgebrachten Lebensmittel. Und er nahm ab – bis zu einem BMI von 18. Da der kurze Darm Nährstoffe nicht oder unzureichend absorbiert, wurde er auch immer kraftloser, denn er war u.a. mit Vitaminen und Spurenelementen unterversorgt. Aber das wusste ich da noch nicht. Was ich sah, war mein abgemagerter Mann, fast ohne Muskeln, schwach und bleich, gebeutelt von Durchfallattacken, abgefüllt mit wirkungslosen Loperamid, bekannt als Immodium.
Ich begann mein Studium im Internet und stieß damals immer wieder auf drei Namen: Prof. Masin in Münster, Frau Klitzing von der KDS-Koordination und Frau Dr. Blumenstein in Frankfurt. Ich las von parenteraler Ernährung (pE) und ging drüber weg.
Erster Kontakt
Schließlich kam ich mit der Recherche im Internet nicht weiter und wollte mit den Leuten reden. Bei Dr. Blumenstein erreichte ich Frau Marienfeld, die sagte „Ihr Mann braucht totale parenterale Ernährung, kommen Sie in unsere Sprechstunde“. Ich vereinbarte einen Termin, ohne zu wissen was es bedeutet. Sie sprach auch davon, dass dringend ein Katheter gelegt werden müsse, um mit der pE zu starten und empfahl als Anlaufstelle ein Partnerkrankenhaus zur Implantation des Zugangs.
Ich sprach mit Frau Klitzing – dort bekam ich die gleiche Antwort und das Angebot, dass sie zu uns nach Hause kommt und uns alles erklärt und zeigt. Ich fand das komisch, denn sie wollte dafür kein Geld und das war ich als „Kind der Werbe- und Marketing-Branche“ nicht gewohnt. Wer was leistet, verlangt Honorar. Aber auch hier vereinbarte ich einen weiteren Telefontermin. Der persönliche Termin sollte nach dem Legen des Katheters unmittelbar erfolgen.
Und der dritte im Bunde: Prof. Masin, ich hörte unterschiedliches zu seiner Person. Dennoch bekam ich einem Rückruf von ihm, unterwegs aus einem Taxi und er machte mir sehr eindrücklich klar: mein Mann braucht totale parenterale Ernährung, sonst wird er verhungern.
Verhungern?
Ich war schockiert. Was parenterale Ernährung bedeutet wusste ich immer noch nicht, aber eins war klar: ich will nicht, dass mein Mann verhungert.
Also kam die nächste Recherche. Was ist parenterale Ernährung?
Es wird u.a. zwischen der enteralen und parenteralen Ernährung unterschieden. Enterale Ernährung ist das, was wir Gesunden kennen. Mund auf, kauen, schlucken, verdauen, verwerten, ausscheiden. Wenn das nicht mehr funktioniert, weil z.B. der Darm so kurz ist, dass die Passage im Darm nicht ausreicht, um alle lebensnotwendigen Stoffe aus der Nahrung zu extrahieren und aufzunehmen, dann ist einer Ernährung notwendig, die „am Darm vorbei“ geht. Also auch keine Sonde in den Magen, denn dann wäre der Darmtrakt wieder gefordert. Die parenterale Ernährung geht direkt in die Blutbahn, so dass alle lebensnotwendigen Stoffe direkt vom Blut aufgenommen bzw. ihm zugeführt werden. Also: Glukose, Fette, Wasser, Vitamine, Mineralien, Spurenelemente etc. Über einen zentralvenösen Dauerkatheter wird eine Flüssigkeit mit all diesen Stoffen in den Organismus gepumpt. Dabei darf eine gewisse Geschwindigkeit nicht überschritten werden, um den Organismus nicht zu überlasten. So eine Überlastung kann in einer Fettleber enden. Die Geschwindigkeit hängt vom Gewicht und der notwendigen Glukosemenge ab. Je geringer das Gewicht und je höher der Zuckerbedarf, desto länger die Laufzeit. Bei einem BMI meines Mannes von ca. 18 waren das 14 Stunden Pumpenlaufzeit am Tag. Da kommt dann noch die Zubereitung, das Anhängen und Abhängen dazu: wer gut ist, schafft das in ca. 45 Minuten. Und jetzt wussten wir, wie alltagstauglich die Krankheit ist.
Zurück zum Thema: pE ist also unabdinglich. Trotzdem muss weiter gegessen werden, denn ein Darm ohne Arbeit stirbt. So ist ein weiteres Thema in den Griff zu bekommen: der Durchfall.
Der Durchfall
Weil es der kurze Darm nicht schafft, den Nahrungsbrei lang genug zu halten und ihm das Wasser zu entziehen, müssen viele Kurzdarmpatienten oft und sehr, sehr dünn. Dazu kommt, dass man oft am Anfang noch nicht weiß, welche Lebensmittel und Zubereitungsart, Menge und Häufigkeit der Mahlzeiten ideal ist. Auf jeden Fall scheint das optimale Mittel zur Verlangsamung der Darmtätigkeit die Opiumtinkur zu sein (siehe extra Kapitel dazu).
So tasteten wir uns an die Krankheit und ihre Symptome heran. Das Leben, Essen, die Freizeit, das Einkaufsverhalten und die Möglichkeiten der Arbeitsfähigkeit wurden umgestellt und angepasst. Das ist anstrengend, aber möglich. Und mit viel Experimentierfreude, Geduld, Kreativität, Willen und Disziplin ist es möglich, „alte“ und neue Lebensqualität zurück zu erobern.
Die Diagose Kurzdarmsyndrom ist sicher einschneidend, aber man kann damit leben, sowohl als Betroffener als auch Angehöriger. Grundlage ist nach meiner Meinung, die Krankheit anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen – Weglaufen ist für Feiglinge.